Verkehrsunfall – Schmerzensgeld nach Unfall in Polen

AG Frankenthal –  Az.: 3a C 157/13 –  Urteil vom 15.10.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 950,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 02.09.2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Verkehrsunfall - Schmerzensgeld nach Unfall in Polen
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Die Klägerin mit Wohnsitz in G… begehrt mit ihrer der Regulierungsbeauftragten am 02.09.2013 zugestellten Klage die Zahlung restlichen Schmerzensgeldes von dem polnischen Kfz-Haftpflichtversicherer G… aufgrund eines Verkehrsunfalles, der sich am 03.10.2012 in Nysa in Polen ereignete.

Auf den Hinweis des Amtsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15.08.2013 erklärt, dass der polnische Kfz-Haftpflichtversicherer Beklagte sei, die Zustellung lediglich an die Regulierungsbeauftragte erfolgen solle (Blatt 11 der Akten).

Nach polnischem materiellem Recht hat der Geschädigte einen Direktanspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer.

Das Kraftfahrzeug, in dem die Klägerin saß, erlitt einen wirtschaftlichen Totalschaden bei einer Schadenshöhe von 8.500,00 €, der materielle Sachschaden wurde vorgerichtlich vollumfänglich reguliert, die Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit.

Auf das vorgerichtlich bezifferte Schmerzensgeld in Höhe von 1.150,00 € leistete die Regulierungsbeauftragte lediglich 200,00 € und behauptete, dass nach dem maßgeblichen polnischen materiellem Recht kein weitergehender Anspruch bestünde.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass auch nach dem vorliegend anwendbaren materiellen polnischen Recht aufgrund der Gesamtumstände ein Schmerzensgeld über die außergerichtlich gezahlten 200,00 € hinaus in Höhe von weiteren 950,00 € begründet sei.

Die Zinsen seien seit 01.02.2013 dem Grunde und der Höhe nach begründet.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 950,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 31.01.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und rügt die Passivlegitimation der Regulierungsbeauftragten, es läge eine Klagerücknahme vor, bestritten werde, dass die in dem ärztlichen Attest vom 19.01.2013 beschriebenen Befunde zutreffen.

Die geltend gemachten Zinsen seien unschlüssig, eine ordnungsgemäße Bezifferung der klägerischen Ansprüche gegenüber der Schadensregulierungsbeauftragten sei vorliegend nicht erkennbar.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Rechtsgutachtens vom 17.07.2014 der Sachverständigen Prof. Dr. T… und Dr. U…, wegen deren Ergebnis auf Blatt 86-102 der Akten verwiesen wird.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat überwiegend Erfolg.

Das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) ist unter Berücksichtigung der Auffassung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 6.5.2008 – XI ZR 200/05; EuGH Urteil vom 13.12.2006 – C 463/06 – entgegen OLG Karlsruhe, Urteil vom 7.9.2007 – 14 W 31/07; Landgericht Frankenthal (Pfalz) Schlussurteil vom 14.4.2011 – 4 O 155/09) wonach der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat hat, nach Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EG Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden EuGVVO) i.V. mit Art. 9 Abs. 1 b EuGVVO vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates hat (hiergegen mit gewichtigen Argumenten OLG Karlsruhe und die überwiegenden Meinungen der deutschen Rechtsliteratur, a.a.O.), international sowie örtlich und sachlich zuständig. Soweit nach Art. 3 des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht (HStVÜBK) – das nach Art. 28 Abs. 1 Rom II VO für Polen vorrangig ist und nicht unter Art. Abs. 2 Rom II VO fällt (Junker Münchener Kommentar zum BGB 5. Auflage 2010 Rn. 11 Art. 28 VO (EG) 864/2007) – das materielle Recht des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat, anzuwenden wäre, vorliegend somit das materielle Recht Polens, so ist dieses Übereinkommen zwar von Polen, nicht hingegen von der Bundesrepublik Deutschland gezeichnet worden (vgl. a.a.O. Rn. 17-20 zum Problem eines „forum shoppings“).

Da jedoch sowohl Polen, als auch die Bundesrepublik Deutschland Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind und Rom II VO anwendbar ist, ist nach Rom II VO Art. 4 (IPR) das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Dies ist vorliegend das materielle Recht Polens (zur Verfehlung des mit der Schaffung eines europäischen Kollisionsrechts verbundenen Ziels der Rechtsvereinheitlichung im Falle der Haftung für Verkehrsunfälle unter Gefahr des „forum shoppings“ (vgl. Palandt/Thorn, 73. Auflage, Rom II 4 (IPR) Rn. 18 m.w.N.).

Da Art. 4 Rom II VO eine Sachnormverweisung ausspricht, ist das Haager Übereinkommen auch nicht mehr im Rahmen eines evtl. Renvoi relevant, Art. 24 Rom II VO, anzuknüpfen ist an den Tatort, da es sich bei den Straßenverkehrsunfällen um Platzdelikte handelt. Art. 18 Rom II VO eröffnet die Direktklage gegen den Versicherer des Haftenden. Die für die Schadenshaftung beachtlichen materiell-rechtlichen Vorschriften finden sich im polnischen Zivilgesetzbuch von 1964 (im Folgenden ZGB). Dabei sind allerdings die tatsächlichen Verhältnisse im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Geschädigten nach dem 33. Erwägungsgrund Rom II VO stets zu berücksichtigen. Das führt bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts dazu, dass auch bei der Bemessung des Ersatzes für immaterielle Schäden die Verhältnisse am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Geschädigten beachtlich sind. Da das Zivilrecht Polens einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer statuiert, stehen der Klägerin gegen die Beklagte im Anschluss an das überzeugende Rechtsgutachten der Sachverständigen Prof. Dr. P… und Dr. E… unter Beachtung des Klageantrages, § 308 ZPO, ein Anspruch auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 950,00 €, § 287 ZPO, Art. 19 Nr. 1 PflVersG, Art. 361, 417, 436, 437, 444, 445 ZGB zu.

Zwischen den Parteien steht die Haftung der Beklagten aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls dem Grunde nach außer Streit.

Nach Art. 361 § 1 ZGB muss der entstandene Schaden eine gewöhnliche Folge der schadensauslösenden Handlung sein. Nach Art. 361 § 2 ZGB sind grundsätzlich nur materielle Schäden ersatzfähig, wobei für Gesundheitsschäden aus unerlaubter Handlung Art. 444 ZGB eine Präzisierung darstellt. Für Gesundheitsschäden modifiziert Art. 445 § 1 Satz 1 ZGB den Grundsatz des Art. 361 § 2 ZGB, der als Wiedergutmachung für das erlittene Leid die Zuerkennung eines angemessenen Geldbetrages vorsieht, also eine Kompensation der nichtmateriellen Beeinträchtigung (im Folgenden Schmerzensgeld). Nach Art. 445 § 1 Satz 1 ZGB soll die Schmerzensgeldzahlung einen angemessenen Ausgleich darstellen für Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung und dabei erlittenes Leid. Für die Berechnung eines angemessenen Schmerzensgeldes sind die Dauer der Leiden, ihre Stärke, die Art der davongetragenen Verletzungen, der Einfluss auf das weitere Leben des Verletzten, die Unumkehrbarkeit der Folgen, das Gefühl der Hilfslosigkeit, eine fehlende Möglichkeit, bestimmte Unterhaltsangebote zu nutzen, die Ausübung einer bestimmten Arbeit sowie Folgen im persönlichen und gesellschaftlichen Leben zu berücksichtigen. Unbeachtlich soll hingegen die Vermögenslage des Schädigers und der Lebensstandard des Geschädigten sein, zu berücksichtigen indes ist für die Festlegung der Höhe des Schmerzensgeldes wie auch anderen Schadensersatzes das Preisniveau, Art. 363 § 2 ZGB, da das Schmerzensgeld die Anschaffung von Gütern und Dienstleistung ermöglichen soll, um den erlittenen Schmerz zu lindern. Abgesehen hiervon, so wird im Schrifttum ausgeführt, sei das durchschnittliche Lebensniveau der Bevölkerung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ohne ausschlaggebende Bedeutung.

Die Bemessung des Schmerzensgeldes selbst erfolgt nach den nachvollziehbaren Feststellungen der Sachverständigen in der polnischen Praxis dem rechtlichen Ausgangspunkt nach in einer weniger standardisierten Weise als in der deutschen Spruchpraxis. Insbesondere geht die Rechtsprechung des obersten Gerichts davon aus, dass die Schmerzensgeldbemessung nicht aufgrund einer Tabelle, sondern im Hinblick auf den Einzelfall geschehen soll. Die Festlegung der Höhe soll im Ermessen der Eingangsinstanzen stehen, die zur Abwicklung von Haftungsfällen regelmäßig eine festgestellte Prozentquote der sogenannten „anhaltenden Gesundheitsbeeinträchtigung“ des Unfallopfers zugrunde legen. Diese beruht typischerweise auf einer vom jeweiligen Versicherungsunternehmen intern aufgestellten Tabelle. Das von der Versicherung ausgezahlte Schmerzensgeld wird bestimmt, indem die Quote mit einem festen von der Versicherung befolgten Satz multipliziert wird. Eine derartige Tabelle findet sich auch in einem staatlichen Rechtsakt, der „Verordnung des Ministers für Arbeit und Sozialpolitik über die Einzelheiten bei der Entscheidung über eine dauerhafte oder andauernde Gesundheitsbeeinträchtigung, des Verfahrens der Feststellung dieser Beeinträchtigung und die Auszahlung einer einmaligen Entschädigung“ von 2002, welche in Ausführung einer Vorschrift des „Gesetzes über die Arbeitsunfallsozialversicherung“ ergangen ist. Die Aufstellung in der Verordnung sowie diejenigen der einzelnen Versicherungsunternehmen sind dabei nicht aneinander angeglichen, d.h. jede beschreibt mögliche Verletzungen und die damit verbundenen Prozentsätze eigenständig. Soweit es um Halswirbelsäulenverletzungen geht, wird in der besagten Verordnung nur eine dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Verletzung aufgeführt : „89. Schädigung der Halswirbelsäule: Einschränkung der Beweglichkeit hinsichtlich Drehung oder Beugung über 20 Grad: 15 %“. Aufgrund der widerspruchsfreien Ausführungen der Sachverständigen im Hinblick auf die Spruchpraxis in Polen (Urteil vom 10. April 2014, I C 227/11) ist vorliegend von einer Gesundheitsbeeinträchtigung von 2% auszugehen, § 287 ZPO, sodass sich eine Schmerzensgeldsumme von 1.000,00 € (4.000,00 Zloty) ergibt. Unter Berücksichtigung des 33. Erwägungsgrundes Rom II VO ist hierbei zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, sodass gemäß Art. 363 § 2 ZGB das höhere Preisniveau in Deutschland gegenüber demjenigen in Polen zu berücksichtigen ist. Daher kann zwar im Ergebnis ein Schmerzensgeld gemäß Art. 445 § 1 ZGB unter Berücksichtigung eines Anpassungsindexes von 1,79 % zuerkannt werden, wobei es zur Genugtuung und Kompensation indes nicht erforderlich ist, aufgrund des höheren Preisniveaus einem Geschädigten mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland mehr an Schmerzensgeld zuzusprechen, als das deutsche Recht ihm in einem vergleichbaren Fall zubilligen würde. Eine Annahme einer solchen Obergrenze erscheint auch im Sinne von Erwägungsgrund 33 der Rom II VO angezeigt. Nach den vorliegenden Gesamtumständen ist danach ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 1.200,00 € angesichts der folgenlos ausgeheilten Verletzung, der Dauer der Arbeitsunfähigkeit, der Schmerzen sowie der befundeten Schädel- und Rückenprellung neben dem Schleudertrauma der Halswirbelsäule, die nachvollziehbar in dem ärztlichen Attest vom 19.1.2013 als Befund sowie Diagnose beschrieben sind, angemessen, aber auch ausreichend. Das pauschale Bestreiten der Beklagten ist aufgrund der vorgerichtlich gezahlten 200,00 € nur unter den in dem Schreiben vom 01.02.2013 erhobenen Einwendungen unerheblich (OLG Koblenz NZV 2007, 198).

Die geltend gemachten Zinsen sind insoweit unschlüssig, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist nach dem Vorgenannten materiell-rechtlich nicht anwendbar ist daneben fehlt es an hinreichend substantiiertem Sachvortrag für die begehrten Zinsen nach polnischem materiellen Recht; Zinsen sind dem Grunde und der Höhe nach seit Zustellung der Klageschrift am 8.9.2013, §§ 291 BGB, 260 ZPO, begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.