Verkehrsunfall in der Schweiz

Ein Autounfall in der Schweiz kann eine komplizierte Schadensregulierung nach sich ziehen – Wir kennen uns mit den Besonderheiten im schweizerischen Recht aus.

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I. Einleitung

Verkehrsunfall in der Schweiz
Hatten Sie ein Autounfall in der Schweiz? Dann sehen Sie sich als Geschädigter oftmals einer komplizierten Regulierung des Schadens gegenüber. Hier erfahren Sie alles was Sie wissen müssen zu den Besonderheiten im schweizer Recht. Foto: RossHelen/Bigstock

Der wohl bekannteste Berg in den Schweizer Alpen ist das Matterhorn. Doch was bringt einem das atemberaubende Panorama der eindrucksvollen Schweizer Bergwelt, wenn man beispielsweise beim Familienurlaub in der Schweiz in einen Verkehrsunfall verwickelt wird? Als wäre das nicht schon ärgerlich genug, stellen sich viele drängende Fragen: Welche Ansprüche stehen mir gegenüber dem Unfallverursacher zu? Gelten in der Schweiz als Nicht-EU-Land überhaupt die weitestgehend vereinheitlichen Regelungen der 6. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie? Kann ich meinen erlittenen Schaden auch von Deutschland aus regulieren (lassen)?

Die Rechtsanwaltskanzlei Kotz aus Kreuztal bei Siegen hat Antworten auf alle Ihre Fragen, die das schweizerische Schadensrecht betreffen und gerne setzen wir Ihre Ansprüche auf Schadensersatz gegenüber dem schweizerischen Unfallverursacher bzw. dessen Versicherung auch von Deutschland aus durch.

II. Statistik

Im Jahr 2014 waren in der Schweiz etwa 5,8 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen, davon mehr als 4,3 Millionen Pkw. Im gleichen Jahr ereigneten sich rund 17.800 Verkehrsunfälle mit Personenschaden, bei denen mehr als 4.000 schwer verletzt wurden und 243 Personen ums Leben kamen.

III. Wichtige nationale Besonderheiten im Überblick

  • Verjährung: Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfällen gegenüber der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung oder dem Garantiefonds beträgt zwei Jahre ab Kenntnis des Schadens bzw. Ersatzpflichtigen; Besonderheit: liegt der Klage eine strafbare Handlung zugrunde, für die das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so gilt diese gem. Art. 83 Abs. 1 SVG auch für den zivilrechtlichen Anspruch
  • Gebührenrecht der Anwälte ist kantonal unterschiedlich geregelt; außergerichtliche Anwaltskosten werden nur erstattet, wenn die Beauftragung des Rechtsanwalts notwendig war
  • Vor Klageerhebung ist regelmäßig ein Schlichtungsverfahren durchzuführen
  • Obwohl kein EU/EWR-Land werden Verkehrsunfälle in der Schweiz nach den KH-Richtlinien der Europäischen Union abgewickelt
  • Sachverständigengutachten ab etwa 1000 EUR Fahrzeugschaden empfehlenswert
  • U.U Neupreiserstattung (unter engen Vor.) bei Totalschaden
  • Eingeschränkter Wertminderungsanspruch
  • Erstattung von Mietwagenkosten bei beruflicher oder gesundheitlicher Notwendigkeit
  • Nutzungsausfallentschädigung nur ausnahmsweise erhältlich
  • Auslagenpauschale beträgt zwischen 50 und 100 Franken
  • Schmerzensgeldbeträge deutlich niedriger als in Deutschland; aber: Angehörigenschmerzensgeld durchsetzbar

IV. Wer haftet wofür?

1. Kfz-Haftpflichtversicherung

Gemäß Artikel 63 des Straßenverkehrsgesetzes (SVG) besteht in der Schweiz Versicherungspflicht für alle Kraftfahrzeuge. Das Vorliegen einer Versicherung ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Fahrzeugausweises, ohne den ein Fahrzeug nicht in den öffentlichen Verkehr gebracht werden darf. Ausnahmen existieren lediglich für schwach motorisierte Kfz oder E-Bikes (Vgl. Art. 38 Verkehrsversicherungsverordnung). Art. 65 SVG normiert einen Direktanspruch gegenüber dem schweizerischen Kfz-Versicherer. Die Mindestversicherungssumme beträgt sowohl für Sach- als auch für Personenschäden jeweils 4,6 Millionen EUR pro Schadensereignis.

Obwohl die Schweiz kein EU/EWR-Land ist, können Geschädigte bei einem Verkehrsunfall in der Schweiz (zumindest inhaltlich weitgehend) nach Maßgabe der 6. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie der EU (KH-Richtlinie 2009/103/EG vom 16.9.2009) mit Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ihren Verkehrsunfallschaden grundsätzlich auch über einen Schadensregulierungsbeauftragten in ihrem jeweiligen Wohnsitzland abwickeln. Möglich ist dies u.a. dadurch, dass die Schweiz viele Regelungen der KH-Richtlinien der Europäischen Union in ihr nationales Recht übernommen hat.

2. Garantiefonds-Eintrittspflicht

Sollte ein Verkehrsunfall mit einem nicht versicherten, nicht ermittelbaren oder gestohlenen Kfz erfolgt sein, so können Schadensersatzansprüche daraus an den Nationalen Garantiefonds der Schweiz (NGF) gerichtet werden. Grundsätzlich werden sowohl Sach- als auch Personenschäden ersetzt, wobei für Sachschäden ohne gleichzeitigen, erheblichen Personenschaden ein Selbstbehalt von 1000 Schweizer Franken (ca. 860 EUR) zur Anrechnung kommt. Darüber hinaus ist der Garantiefonds zuständig für die Regulierung von durch Fahrräder verursachten Unfallschäden.

3. Verschuldens-/Gefährdungshaftung

Nach der Haftungskonzeption des SVG haftet grundsätzlich der Halter (Art. 58 SVG). Es gilt das Prinzip der Gefährdungshaftung. Art. 59 SVG lässt die Haftung des Halters jedoch bei höherer Gewalt, grobem Verschulden Dritter oder alleinigem groben Selbstverschulden des Geschädigten entfallen. Daneben existiert im schweizerischen Recht auch eine Verschuldenshaftung nach Art. 41 ff. des Obligationenrechts (OR), die jedoch bei der Regulierung von Verkehrsunfällen eher eine untergeordnete Bedeutung spielt.

V. Außergerichtliche (einvernehmliche) Schadensabwicklung

Unfälle mit Personenschäden sind grundsätzlich polizeilich aufzunehmen. Bei Sachschäden gibt es grundsätzlich keine Pflicht zur Verständigung der Polizei bzw. zu einer Unfallprotokollierung durch diese. Geht es ausschließlich um Sachschäden, so empfiehlt sich die Verwendung eines einheitlichen Formulars des „Europäischen Unfallberichts“ zur privaten Aufnahme der Daten der Unfallbeteiligten.

Unfall Schweiz - Schadensregulierung
Welche Ansprüche haben Sie nach einem unverschuldeten Unfall in der Schweiz? Schadenersatz, Schmerzensgeld? Hier erfahren Sie alles zur Regulierung nach schweizerischem Recht. Foto: Shinobi / Bigstock

Da die Schweiz die Regelungen der KH-Richtlinien der EU weitgehend in nationales Recht übernommen hat, können die Daten der gegnerischen Versicherung bei der hierfür eingerichteten Auskunftsstelle im Wohnsitzland des Geschädigten eingeholt werden. In Deutschland geschieht dies über den Zentralruf der Autoversicherer in Hamburg. In der Schweiz können Halterdaten gem. Art. 126 Abs. 1 Verkehrszulassungsverordnung (VZV) bei den Straßenverkehrsämtern der jeweiligen Kantone (Motorfahrzeugkontrolle) gebührenpflichtig und teilweise sogar online erfragt werden. Für die Ermittlung der schweizerischen Versicherung des Unfallverursachers ist die Auskunftsstelle beim Nationalen Versicherungsbüro der Schweiz (NVB) zuständig. Aufgrund der bereits zuvor erwähnten weitgehenden Übernahme der KH-Richtlinien der EU durch die Schweiz kann die Abwicklung des Verkehrsunfalles in der Schweiz im Regelfall problemlos im Herkunftsland des Geschädigten (also in Deutschland) geltend gemacht werden. Ebenso wird die Vorlage von in Deutschland erstellten Schadensnachweisen weitestgehend anerkannt. Sofern eine geschädigte Person gegen einen Versicherer Haftpflichtersatzansprüche geltend macht, so hat der Versicherer – vorausgesetzt die Haftung ist unbestritten und der Schaden wurde entsprechend beziffert – von Gesetzes wegen innerhalb von drei Monaten ein begründetes Schadensersatzangebot vorzulegen. Sollte die Haftung jedoch bestritten werden oder diese nicht eindeutig feststehen bzw. der Schaden nicht vollständig beziffert worden sein, so ist die Versicherung ebenfalls innerhalb einer Frist von drei Monaten zur Abgabe einer begründeten Stellungnahme zur Schadensersatzforderung verpflichtet (Art. 79 c Abs. 1 SVG).

VI. Gerichtliche Schadensabwicklung

Das Gebührenrecht der Anwälte ist in der Schweiz nicht einheitlich, sondern kantonal geregelt, so dass sich diesbezüglich keine allgemeinverbindlichen Aussagen treffen lassen. In der Praxis werden in der Regel Honorarvereinbarungen zwischen Rechtsanwälten und Mandanten abgeschlossen. Diesbezüglich ist zu beachten, dass die Honorare für Schweizer Anwälte vergleichsweise recht hoch sind, so dass man sich vor der Beauftragung eines Schweizer Anwaltes über das Honorar informieren sollte. Für die Rechtsprechung in haftpflichtrechtlichen Dingen sind in der Schweiz die Gerichte auf drei Stufen zuständig: Bezirk – Kanton – Bund. Auf der untersten Ebene befinden sich die Bezirks- oder Kantongerichte, auf der oberen (kantonalen) Ebene die Obergerichte oder Kantonsgerichte. Das oberste Gericht auf der Stufe Bund ist das Bundesgericht mit Sitz in Lausanne. Bei Streitigkeiten aus Straßenverkehrsunfällen muss im Regelfall gem. Art. 197 ff. ZPO ein förmliches Schlichtungsverfahren vor einer Schlichtungsbehörde (meist Friedensrichter genannt) durchgeführt werden in dessen Rahmen versucht wird, die Streitigkeit gütlich zu regeln. Sollte dies nicht gelingen, so erteilt die Schlichtungsbehörde eine Klagebewilligung, die innerhalb von drei Monaten zu einer Klage beim erstinstanzlichen Gericht berechtigt (Art. 208 ff. ZPO). Im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren bei einem Streitwert unter 30.000 CHF kommt das vereinfachte Verfahren zur Anwendung, welches durch geringere Begründungsanforderungen und eine raschere Behandlung gekennzeichnet ist (Art. 243 ff. ZPO). Örtlich zuständig für Klagen aus Kraftfahrzeugunfällen sind die Gerichte am Unfallort, am Wohnsitz des Beklagten oder aber am Geschäftssitz der gegnerischen Versicherung (Art. 38 ZPO). Darüber hinaus kann gemäß der über Art. 9 und 11 des Luganer Übereinkommens von 2007 (LugÜ) auch die auf die Schweiz Anwendung findende Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007 (Rechtssache C-463/06 „Odenbreit“) die gegnerische Schweizer Kfz-Versicherung am Wohnsitz des Geschädigten (also beispielsweise in Deutschland) verklagt werden (Vgl. BGH, Urt.v. 23.10.2012 – Az. VI ZR 260/11).

Ein Adhäsionsverfahren ist zwar theoretisch möglich, allerdings spielt es in der Praxis so gut wie keine Rolle. Hinsichtlich der Prozesskosten gilt: sie gehen grundsätzlich zu Lasten der unterlegenden Partei bzw. werden verhältnismäßig gequotelt.

VII . Einzelne (exemplarische) Schadensposten

Bezüglich der Sachschadensregulierung lässt sich abschließend festhalten, dass deutsche Geschädigte bzw. deren Anwälte im Regelfall ohne größere Probleme über den in Deutschland ansässigen Schadensregulierungsbeauftragten der schweizerischen Kfz-Haftpflichtversicherung den Sachunfallschaden regulieren lassen können. Was den Fahrzeugschaden angeht, so haben Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten (inkl. Mehrwertsteuer), und zwar unabhängig davon, ob das Fahrzeug tatsächlich repariert wurde oder nicht. Dabei kann der Schaden entweder auf Basis einer Reparaturrechnung, eines Kostenvoranschlages oder eines Sachverständigengutachtens nachgewiesen werden. Obwohl Expertisekosten (Gutachten oder Kostenvoranschläge) grundsätzlich zum vom Schädiger zu vergütenden Aufwand für den Schadensnachweis gehören, empfiehlt es sich vor allem dann, wenn eine Begutachtung in der Schweiz nicht mehr möglich ist, von der gegnerischen Versicherung oder dem Schadensregulierungsbeauftragten eine Genehmigung zur Beauftragung eines neutralen Gutachters im Herkunftsland des Geschädigten einzuholen. Restriktiv wird auch eine etwaige Wertminderung gehandhabt: anerkannt wird sie allenfalls bei bisher unfallfreien, neueren Kraftfahrzeugen, bei denen wiederum zwar ein beträchtlicher, aber dennoch behebbarer Schaden am Fahrzeug vorliegen muss. Mietwagenkosten werden in der Regel dann erstattet, wenn der Geschädigte das unfallbedingt ausgefallene Fahrzeug weiterhin benutzt hätte, wobei die Mietdauer eine angemessene Reparatur- bzw. Ersatzbeschaffungsdauer nicht überschreiten darf. Die in der Schweiz als „Genugtuung“ bezeichneten Schmerzensgeldbeträge liegen deutlich unter den in Deutschland zugesprochen Beträgen. Ein Anspruch auf Genugtuung (Schmerzensgeld) haben Unfallgeschädigte bei einer dadurch verursachten Körperverletzung gem. Art. 47 OR i.V.m. Art. 62 Abs. 1 SVG. Allerdings muss dafür eine nicht nur unbedeutende Beeinträchtigung bzw. Verletzung vorliegen. Es ist kein Verschulden des Schädigers für die Geltendmachung des Schmerzensgeldes erforderlich. Das Schweizer Genugtuungsrecht sieht ein Angehörigenschmerzensgeld für nahe Angehörige von schwer verletzten oder verstorbenen Unfallopfern vor.

VIII. Fazit

Die Rechtsanwaltskanzlei Kotz unterstützt Sie gerne bei der Schadensregulierung Ihres Verkehrsunfalls in der Schweiz. Vereinbaren Sie einfach einen Beratungstermin in unserer Fachanwaltskanzlei für Verkehrsrecht in Kreuztal bei Siegen oder nutzen Sie die Möglichkeit der Online-Rechtsberatung.

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